Nationalpark Hohe Tauern

Mythenreich:
„Die Gletschergoaß vom Keeskogel“


Eine Sage aus der Nationalparkgemeinde Hüttschlag

„Die Gletschergoaß vom Keeskogel“

Tief drinnen im Großarltal in der Nationalparkgemeinde Hüttschlag liegt der einzige Gletscherberg des Tales, der Keeskogel. Viele Sagen und Märchen ranken sich um den geheimnisvollen Berg. Die wohl seltsamste Geschichte wurde vor rund dreihundert Jahren erzählt, als die Gletscher weit vorstießen und sich das Klima stark verschlechterte. Der erste Augenzeugenbericht stammt von einem Hüter der Gstößalm, die heute nicht mehr besteht und abgekommen ist, nur Mauerreste weisen auf die einst reiche Alm. Dieser Hüter berichtete, dass mitten im Sommer sich der Himmel verfinsterte, Nebelfetzen fielen über Kämme und Grate ein, ein tosender Schneesturm fegte über Alm und Weide und mitten in diesem Inferno des Unwetters sauste ein gar seltsames Tier daher, bald heulte es, bald brüllte es, bald wieherte es wie eine Koppel Pferde. Das meckernde Lachen ging dem zu Tode erschrockenen Hüter durch Mark und Bein. So schnell wie der Spuk gekommen war, so schnell verschwand er wieder. Drei Tage und drei Nächte tobte der Schneesturm, eine große Menge Vieh erfror und erstickte in den Schneemassen. Der Hüter erzählte sein fürchterliches Erlebnis im Tale und er beschrieb es auch ganz genau.

Er berichtete, dass es aussah wie eine riesengroße Geiß mit vier verschiedenen Beinen und einem Schwanz wie ein Pferd. Neben dem großen Geißengehörn standen links und rechts des Kopfes zwei mächtige Stierhörner zur waagrechten Seite. Das Eigenartigste aber waren zwei riesengroße rote Augen, die zur gleichen Zeit nach verschiedenen Seiten schauen konnten, eine riesige Brille war über diese furchtbaren Augen gestülpt. Ein übergroßes Maul war vor lautem Heulen wie ein Drachenmaul verzogen. So drang die Kunde von Bauernhaus zu Bauernhaus, und man bekreuzigte sich beim Erzählen und benetzte die Lippen mit Weihwasser bei der Nennung des Namens: Man hatte schon einen gefunden und nannte das abscheuliche Wesen die „Die Gletschergoaß vom Keeskogel“, auch „Weiße Geistergoaß“.

In den folgenden Jahrhunderten wurde sie des öfteren gesehen und zwar immer dann, wenn ein Wettersturz oder große Schnee- und Lawinenkatastrophen bevorstanden. Bei großen Lawinenabgängen ritt sie auf dem Gipfel der Schneemassen unter lautem Gegröle und unheimlichem Gelächter zu Tal.

Bergsteiger und Jäger wurden erschreckt und so mancher Streich gespielt. Der Schöderjäger erzählte einmal, dass er das Tier beim Verschlingen von Schneehuhneiern beobachtete, nach wenigen Augenblicken flogen vorne und hinten junge Schneehühner unter lautem Gegacker aus. Dem Gstößjäger verstopfte es den Lauf des Gewehres, als jener unter einer Latsche schlief. Als der Jäger dann auf eine Gemse schoss, zerfetzte es das Gewehr und der Unglückliche verlor durch die Explosion sein Augenlicht.

Beim großen Lawinenabgang 1951 in einem außerordentlich schneereichen Winter trieb das Untier besonders sein Unwesen, noch heute sieht man die Wunden in der Landschaft, wo die Gletschergoaß Lawinen und Felsstürze ins Tal schob.

Ein besonderes Erlebnis hatte aber ein Steinsucher, der vor einigen Jahrzehnten im Gebiete des Keeskogels nach edlen Steinen suchte. Wieder zog über die Hüttschlager Berge eine Schlechtwetterfront auf und binnen kurzer Zeit orgelte und raste ein Schneesturm über die einsamen Berge. Mit letzter Kraft schleppte sich der junge Bursche in einer Holzknechtsölde (Sölde ist eine Hütte), die er schon in früheren Jahren öfters zum Übernachten benutzte. Es war daher immer ein Vorrat trockenes Holz lagernd, auch Kerzen und warme Decken befanden sich in der offenen Holzknechthütte. In einem Versteck befanden sich Notproviant und eine Flasche Schnaps.

Der Steinesucher entfachte ein Feuer, dass es bald prasselte und die Hütte erwärmte. Ein warmer Tee mit einem Schuß Schnaps regte wieder die Lebensgeister an. Draußen tobte und heulte der Schneesturm, die Dämmerung war die Geburt der Nacht, einer Schneenacht im Sommer der heimatlichen Berge. An einen Abstieg war unter diesen Umständen nicht zu denken. So richtete sich der Stoaklopfer zum Schlafen her, wickelte sich in mehrere Decken und bald verriet das gleichmäßige Atmen, dass er schlief. Auf einmal erschien beim offenen Eingang ein unheimliches Vieh mit zwei glühenden Augen und einem heißen Atem, der im Zwielicht der Hütte wie Eisperlen funkelte. Der Bursche erwachte, getraute sich jedoch nicht zu rühren. Das unheimliche Tier beschnupperte ihn, dass es ihm die Haare aufstellte und dass er vor Angst schwitzte. Es war die Gletschergoaß, die nun ins Feuer pfauchte und es dadurch wieder anfachte. Dann fraß es die gesamten Vorräte und machte sich über die Flasche Schnaps her. Mit gierigen Zügen soff es diese leer. Das aber war zuviel. Nach einiger Zeit torkelte sie auf den vier verschiedenen Beinen in die eisige Sommernacht hinaus. Seither hat man das Gruseltier nie mehr gesehen. Seither hat es aber auch nie mehr so strenge Winter und Wetterstürze im Sommer gegeben. Aber die Zeit wird wiederkehren, wo die Gletschergoaß aus ihrem Schlaf in einer Gletscherspalte erwachen wird und Berg und Tal in Schnee versinken werden.

 

 

Zutragungs- und Entstehungsort dieser Sage: 
Hüttschlag/Keeskogel, Pongau/Salzburg

Text entnommen aus „Gletschergoaß und Kupfergeist“
© by Peter Pabinger, 1993


Geschrieben von
Sarah Moser

06.02.2023
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